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Februar bis März 2003

Der Brrittzzzzlll-Situation erster Teil

Sonntag, 16. Februar

In Krieg der Sterne definiert Luke Skywalker die kulturelle Situation seines Heimatplaneten einmal so: "Wenn das Universum ein leuchtendes Zentrum hat, dann ist dieser Ort am weitesten davon entfernt."

Würde ich alle Wochenenden meines Lebens nach der Menge angenehmer Ereignisse sortieren, dann stände dieses Februar-Wochenende des Jahres 2003 auf dem letzten Platz.

Am Samstag ist Babsi, meine Frau, endgültig aus unserer gemeinsamen Wohnung ausgezogen.

Am Sonntag morgen – kaum, dass ich grade noch Gelegenheit hatte, meinem Freund Reiner per Mail zum Geburtstag zu gratulieren – macht es in meinem PC laut und vernehmlich Brrittzzzzlll – und aus ist´s mit der Bärendatenverarbeitung!

Jetzt ist es ja nicht grade so, dass EDV-Angelegenheiten meine starke Seite wären. Oder irgendwelche anderen Angelegenheiten, die Elektronik einschließen. Oder Elektrik. Oder Schraubendreher.

Zum Aufschrauben des regungs- und reaktionslos unter meinem Schreibtisch herum stehenden PCs reicht es zwar so grade noch, aber dann bin ich auch schon mit meinem Latein am Ende. So viele bunte Drähte – und ich weiß doch über bunte Drähte nichts weiter, als dass sie Richard Harris, Ed Harris und andere Harrisse und Nicht-Harrise gelegentlich mit der Entscheidung konfrontieren, ob der grüne oder der rote Draht durchgeschnitten werden soll.

Diese Herren finden zwar gemeinhin in letzter Sekunde zur richtigen Entscheidung, mir hilft das aber an diesem Sonntag Vormittag nicht unbedingt weiter.

Das bedeutet: Den PC zu einem Ort fahren, wo man auf Menschen trifft, die ihre relevante Fachkenntnis gegen Entgelt zur Verfügung stellen, und ihn dort reparieren lassen. Was natürlich erst am kommenden Samstag geht, weil ich sonst von früh bis spät aus dem Haus bin.

Und eigentlich wäre ich jetzt ohnehin lieber befreit von jeder zwischenmenschlichen Kommunikation und würde gegen die Wand starren. Aber am Montag muss ich ohnehin wieder ins Büro und die Existenz anderer Menschen zur Kenntnis nehmen.


Montag, 17. Februar

Zum Glück habe ich in meinem damligen Chef Dr. D. einen freundlichen, verständnisvollen Chef (begeisterter Spieler, natürlich!), der auch mal in die andere Richtung sieht, wenn ich im Büro mal einen Blick ins Internet werfe. Also bin ich nicht ganz von der Welt abgeschnitten.

Außerdem hat er - der beste Chef von allen - einen alten PC daheim, der ein noch funktionierendes Netzteil enthält, das sich vielleicht bei mir einbauen lässt. Wenn das jemand macht, der so was kann. Mein Chef zum Beispiel, der Gute!

Jetzt muss ich mir nur noch ein Auto ausleihen - damals besaß ich noch keinen eigenen Wagen - mit dem ich meinen PC zu meinem Arbeitsplatz fahren kann. In aufgeräumter Stimmung - vielleicht sogar mit einem Anflug von Optimismus - neigt sich der Tag dem Ende.


Dienstag, 18. Februar

Heute habe ich frei.

Dieser Tag steht ganz im Zeichen einer verloren gegangenen IKEA-Lieferung für Babsis neue Wohnung: Auch eine sehr interessante Geschichte, die ich möglicher Weise ein ander Mal zum Besten geben werde – aber ohne unmittelbaren Zusammenhang mit der Brrittzzzzlll-Situation.


Mittwoch, 19. Februar

Mit einem geliehenen Wagen und dem Bären-PC auf dem Beifahrersitz (korrekt angeschnallt) komme ich in München an.

Dr. D. und sein Netzteil warten schon.

Nur noch ein paar Minuten, und ich werde etwas neues über PCs lernen. Achtung ... Trommelwirbel ... jetzt: Es gibt zwei Arten von Netzteilen, nämlich AT-Netzteile und ATX-Netzteile. Die gesamte Welt der EDV benutzt nur noch ATX-Netzteile, AT-Netzteile sind aber auch so was von out, dass sie nicht mal mehr in den ältesten Möhrchen von Schrott-PCs im Kellern zu finden sind. Natürlich ist meins ein AT-Netzteil.

Mein Kollege Alexander aus der EDV-Abteilung meint, im Firmenkeller könnte sich in einem der vor Jahren ausgesonderten PCs doch noch ein AT-Netzteil finden und er würde mir das dann gern einbauen.

Mein Kollege Dirk weist wiederholt darauf hin, dass es Netzteile gibt, die besonders geräuscharm sind, was er als sehr angenehm empfindet. Das nützt wir zwar überhaupt nichts, aber es sagt es im Laufe des Tages so oft, dass es bald zu meinem aktiven Wissens-Fundus gehört.


Donnerstag, 20. Februar

AT hin, ATX her: Die Brrittzzzzlll-Situation hat in meinem PC ein großes, flaches Ding kaputt gemacht, in dem viele kleinere Dinge stecken und das „Motherboard“ heißt.

Scheint ziemlich wichtig zu sein, das Ding, denn drei Leute schütteln nacheinander bedauernd (und mit einer Sachkenntnis, die mir völlig abgeht) ihre wissenden Köpfe.

Es gibt da aber im Keller noch einen alten, ausrangierten PC, den ich der Firma abkaufen könnte.

Was, fragt Alexander, habe ich denn für ein Betriebssystem? Na, Windows halt.

Aber das reicht natürlich nicht. Welches Windows? Keine Ahnung. Das war schon da drauf, als ich den gekriegt habe.

Gut, nicht so wichtig. Aber wieviel Arbeitsspeicher mein alter PC hat, das ist wichtig. Weiß ich leider auch nicht.

Und was für ne Grafikkarte? Grafikkarte weiß ich: Das ist die rote da unten. Zufällig habe ich mitgekriegt, wie sie eingebaut wurde. Augen und Finger zentrieren sich auf die rote Grafikkarte. Sie sieht noch ganz gut aus; vielleicht kann man sie in den anderen PC einbauen.

Dirk weist im Vorbeigehen noch mal kurz darauf hin, dass es Netzteile gibt, die besonders geräuscharm sind.


Freitag, 21. Februar

In der beruhigenden Gewissheit, mich umfangreich vorbereitet zu haben, erreiche ich meinen Arbeitsplatz. Nicht nur, dass Babsi mich darüber informiert hat, wieviel Arbeitsspeicher und welches Betriebssystem der Bären-PC hat; darüber hinaus hat sie mir auch gesagt, wie viel Speicherkapazität die Festplatte besitzt.

Letztere Information halte ich zunächst zurück, um damit unerwartet triumphieren zu können, wenn alle am wenigsten damit rechnen. Alles steht zur Sicherheit auf einem kleinen Zettel in meinem Portemonnaie, aber ich habe mir im Zug die Daten genau eingeprägt und werde gleich locker die entsprechenden Fragen beantworten.

Mein Chef  Dr. D., der Gute, hat es zur Chefsache gemacht, mir zu einem funktionierenden PC zu verhelfen – nur ein paar winzige Informationen von mir sind noch erforderlich.

„128 Megabyte“, sage ich. „Windows 2000 professionel auf deutsch“.

Dr. D. winkt ab und fragt mit heiserer Stimme – er hat zwei Tage voller Vorträge hinter sich – ob ich daheim einen ISDN-Anschluss habe.

So leicht bin ich nicht aus dem Konzept zu bringen. T-DSL habe ich sogar.

Das sei nicht die Frage, keucht Dr. D., denn T-DSL könne man mit oder ohne ISDN haben. Wenn ich nicht wisse, ob ich ISDN habe, brauche ich doch nur nachzusehen, in was für ein Gerät das Kabel aus dem PC geht.

So leicht ist das? Ich weiß schließlich, dass das Gerät „Splitter“ heißt.

Nein, das ist wieder mal uninteressant. Die Frage ist: Habe ich ein NTBA?

Außer dem Splitter? Nein, hab ich nicht.

Ein Splitter, erfahre ich, kann gleichzeitig auch ein NTBA sein, muss aber nicht.

Und was habe ich für ein Modem? Und ist das intern oder extern? Ich beginne, mir Notizen zu machen. Die letzte Frage kann ich gleich wieder streichen, weil irgend so eine grüne Scheibe in meinem nackt da stehenden PC zeigt, dass ich kein Modem brauche, weil eben diese Scheibe da drin ist..

„40 Gigabyte“, sage ich.

Was will ich denn damit sagen?

Das ist der Speicherplatz meiner Festplatte. Ist aber, wie alles, was ich weiß, ohne Belang.

Mit schlechtem Gewissen, weil ich meinem hilfsbereitem und zudem kranken Chef nicht helfen konnte, mir zu helfen – und zugleich fest entschlossen, am Montag klüger zu sein – trete ich den Heimweg an.


Montag, 24. Februar

Am Wochenende habe ich festgestellt, dass es viele seltsame TV-Serien gibt, die ich niemals kennen gelernt hätte, wenn mein PC funktionieren würde.

Am Montag im Büro erwartet mich zunächst auf dem Anrufbeantworter eine Mitteilung von Alexander, dass er kurzfristig zum Rechenzentrum unserer Österreichischen Franchisenehmers abberufen wurde und frühestens am Donnerstag zurück ist. Am Freitag spätestens wird er mir aber den PC herrichten, den ich dann bekommen kann.

Kurz darauf meldet sich Dirk und teilt mit, dass er heute nicht kommt, da seine Freundin am Wochenende Zahnschmerzen bekommen hat und der persönlichen Zuwendung bedarf. Ich nutze die Gelegehnheit, ihn darüber zu informieren, dass es Freundinnen gibt, die besonders geräuscharm sind. Nach einem kurzen, aber einprägsamen Kommentar über meine mangelnde Sensibilität legt Dirk auf.

Dr. D., der beste Chef von allen, verspricht mir am Nachmittag, mir morgen seinen privaten Laptop von daheim mit zu bringen und zu leihen, bis ich wieder einen richtigen PC habe.

Ich fühle neuen Optimismus, mich bald wieder in der wirklichen Welt zu befinden, zur Zeit gepaart mit der Spannung, ob die heutige Abschlussfolge von Akte X wohl tatsächlich irgend eine Frage definitiv beantworten wird.


Dienstag, 25. Februar

Alle tun, was sie können, um mich zumindest provisorisch wieder in Internet zu bringen:

Der beste Chef von allen hat mir sein Notebook mitgebracht. Mein Kollege Lars hat mir sein ELSA-Modem mitgebracht. In der EDV-Abteilung fand sich noch ein Verbindungskabel. Ich weiß zwar bisher nicht, was es womit verbindet, aber es hat zwei interessante völlig unterschiedliche Enden.

Auch Dirk beteiligt sich, in dem er mich, während ich mit langsam wachsender Verzweiflung übe, Notebook, Netzteil, Modem und all die Kabel richtig zusammen zu stecken, informiert, dass T-DSL nur mit ISDN funktioniert und ich ohne NTBA sowieso keine Chance habe, wieder ins Internet zu kommen.

Aber über diese Phase bin ich schon längst hinaus, habe nur ein leichtes Lächeln für ihn und die sachkundige Antwort: „Aber nein, für T-DSL gibt´s auch analog, dazu braucht man nur T-Net und einen Splitter.“

Meine Kollegin Uli, die das Gespräch aus dem Nachbarbüro mitbekommt, gesteht mir kurz darauf, dass es sie ein bisschen vor mir zu gruseln beginnt, weil sich seit der letzten Woche mein Wortschatz und meine Gesprächsthemen radikal geändert haben. „Ab Mittwoch Nachmittag“, sagt Uli, „habe ich eigentlich aufgehört, dich zu verstehen.“ Mittwoch Nachmittag ... ich glaube, das könnte der Moment gewesen sein, als ich „Platine“ gelernt habe.


Dienstag, 25. Februar - abends

„Das Leben findet einen Weg.“, sagte Jeff Goldblum in Jurassic Park und meinte, dass sich Unwägbarkeiten immer zu einem unerwarteten Ergebnis mit maximal möglicher Schadensanrichtung addieren. Auch unbelebte Gegenstände finden einen Weg, wenn das Universum erst einmal beschlossen hat, dass irgend etwas nicht funktionieren soll – mein heimischer Zugang ins Internet, zum Beispiel.

Daheim angekommen beginne ich damit, zunächst alle Kästen und Kabel, die in irgend einer Beziehung zu meinem Telefon und PC stehen, systematisch zu beschriften, damit ich hinterher wieder rekonstruieren kann, wie alle zusammen hängen muss. Der geneigte Leser wird sich erinnern: Mein Etappenziel für den Abend ist, einen geliehenen Laptop, ein geliehenes Modem und ein geliehenes Verbindungskabel so mit der vorhandenen heimischen Installation zu kombinieren, dass ich wieder ins Internet komme.

Ein kleiner weißer Kasten auf dem Fußboden, von dem aus ein Kabel ins Nichts führt, erhält von mir zunächst den Aufkleber „Ich bin der Splitter“, gefolgt von zwei kleineren Aufklebern: „Dieses Kabel zum PC“ und „Dieses Kabel zum Telefon.“

Ich lasse meinen Blick an dem Kabel in Richtung Telefon entlang wandern. Seltsam: An der Seite, die im Telefon steckt, hat das Kabel einen anderen Durchmesser und eine andere Farbe. Vielleicht sollte ich das Kabel besser ganz genau verfolgen. Ich nehme es Stück für Stück hoch, entwirre es dabei und folge ihm schließlich in eine Richtung, die vom Telefon weg zu einem Regalbrett führt, in dem einige Tüten mit Wolle liegen, die meiner Frau bislang noch nicht auf ihrem neuen Lebensweg gefolgt sind.

Unter den Tüten befindet sich ein kleines weißes Gerät, und von dem aus führt ein Kabel zum Telefon. Das erinnert mich fatal an eine Zeichnung, die der beste Chef von allen mir im Internet gezeigt hat, um mir zu demonstrieren, wie einfach es ist, PCs, Telefone und Splitter zu verbinden. Von einer Ahnung getrieben inspiziere ich das Gerät, das ich bisher für den Splitter gehalten haben. Auf der Unterseite steht NTBA, was ich etwas seltsam finde, denn ich weiß doch, dass ich kein NTBA habe. Weil man so was ja nur braucht, wenn man ISDN hat. Was ich nicht habe. Meines Wissens.

Aber vielleicht habe ich doch ISDN und weiß es nicht? Da fügt es sich harmonisch in den Gesamtzusammenhang ein, dass der beste Chef von allen sicherheitshalber am Nachmittag noch schnell die ISDN-Karte aus dem Laptop ausgebaut hat, damit die Analog-Verbindung besser funktioniert. Und anschließend zu einer mehrtägigen Konferenz in die Schweiz gefahren ist.

Zum Glück habe ich noch eine halbe Flasche Wodka auf Eis liegen.


Mittwoch, 26. Februar

Die ISDN-Karte des Chef-Laptops liegt noch im Büro. Mit viel Gefummel bekomme ich sie endlich an der Seite in den Laptop hineingeschoben. So! Jetzt sollte ich das Ding mit meinem ISDN-Anschluss daheim verbinden können.

Zwei Minuten später: Babsi ruft mich zurück und erklärt, dass der größere der beiden weißen Kästen zwar NTBA heißt, aber kein NTBA ist, sondern ein DSL-Modem. (Das verstehe ich einigermaßen, denn wie man in Bayern sagt: „Matthias heißt er, Moosbauer ist er und Hiasl wird er g´nennt.“) Ich habe definitiv, wirklich, wahrhaftig und ungeachtet aller gegenteiligen Indizien nur einen Analog-Anschluss („Lies es von meinen Lippen: A-n-a-l-o-g!!!“). Ich glaube, das habe ich jetzt verstanden.

Nur, um auch den allerletzten Zweifel auszuräumen, schaue ich mir noch einmal das Bildan, das der beste Chef von allen mir über Anschlüsse von PCs und Telefonen gezeichnet hatte. Offensichtlich befinden sich NTBAs ausschließlich zwischen Splittern und Telefonen, niemals aber zwischen Splittern und Computern. Ich nehme diesen Satz in mein persönliches Credo auf und werde ihn mit Feuer und Schwert gegenüber allen anders lautenden Irrlehren verteidigen.

Die ISDN-Karte ist so weit in den Laptop gerutscht, dass ich sie mit den Fingern nicht mehr zu fassen kriege und also auch nicht heraus ziehen kann.

Dirk schaut sich im Vorübergehen kurz das Skelett des Bären-PC an, das in meinem Büro neben den Mülleimern (welch ein Symbolgehalt!) steht, zeigt auf irgend eine Stelle und sagt: „Ach, da ist deine ISDN-Karte.“ Ich zeige statt dessen auf die Seite des Chef-Laptops und sage: „Nein, das ist eine ISDN-Karte.“ „Das auch.“, sagt Dirk.

Ich schaue mir nicht an, was er mir zeigt. Ich weiß ja, dass ich kein ISDN habe, also kann ich auch keine Karte dafür haben.

Meine Kollegin Uli rät mir, mir ein neues Hobby zuzulegen – am besten eins, über das wir beide uns in der selben Sprache unterhalten können. Kickboxen, Rennradfahren und modernes Theater kommen aus ihrer Sicht am ehesten in Frage. Erst drei Jahre später werden wir feststellen, dass es tatsächlich ein Thema gibt, über das wir uns ausgiebig unterhalten können, nämlich Hongkong-Schwertkampffilme - der Kenner weiß, dass der Fachbegriff dafür Wuxia-pian lautet - der 70er Jahre. Und kurz nachdem wir das festgestellt und einige Wochenenden damit verbracht haben, uns gemeinsam meine einschlägige DVD-Sammlung anzusehen, wird Uli mit Sack und Pack die Firma und Deutschland verlassen, um sich fern in Spanien eine neue Existenz aufzubauen. Aber ich schweife ab.


Mittwoch, 26. Februar - abends

Unfassbar! Ich bin im Internet!! Von daheim aus!!!

Auf eine etwas seltsame, von mir noch nicht ganz durchschaute Weise. Ich hoffe, dass ich das später wieder so rekonstruieren kann, aber ohne das Umschmeißen der Kaffeekanne. Auf jeden Fall klappt es im Augenblick nur, wenn ich im Korridor auf dem Fußboden sitze. Meine Katzen finden das toll.

Ich werde mir einen kleinen Tisch besorgen, auf den ich den Chef-Laptop stellen kann, denn im Liegen auf dieser winzigen Tastatur zu tippen, ist nicht so ganz leicht.

Dann muss ich noch üben, mir diesem Sensorfeld zurecht zu kommen, das hier als Maus-Ersatz fungiert.

Aber als allererstes mache ich mich jetzt mal daran, mir den Client herunter zu laden und versuche, ob ich so auch spielen kann.


Donnerstag, 27. Februar

Zunächst die gute Nachricht: Der Chef-Laptop steht auf meinem Wohnzimmertisch und ich kann auf einem Stuhl davor sitzen. Ende der guten Nachricht.

Und dabei hatte gestern alles noch so gut ausgesehen. Machen wir eine kurze Rückblende:


Am Mittwoch Abend vervollständige ich zunächst die Zettelchen auf allen Geräten und Kabeln.

Dann sage ich entschlossen "Back to the roots", versuche nicht länger, das Modem namens Elsa irgendwie mit der T-DSL-Anlage zu verbinden, sondern stecke sein Kabel direkt in ein Loch in der Wand (unterhalb des Zettels "TAE-Dose"). Das bringt mich noch nicht ins Internet.

Die Welt will betrogen sein, die Elektronen, die aus der Wand rieseln, vielleicht auch - also stecke ich den Stecker des Telefons in den mittleren Schlitz, den Stecker des Modems rechts daneben: Ich erinnere mich, dass das vor zwei Jahren mal so ähnlich ausgesehen hat. Das bringt mich noch nicht ins Internet.

Grübel-grübel ... Aha! Wenn ich ohne T-DSL ins Internet will, nützen mir natürlich das Login und die Einwahlnummer aus dem T-DSL-Vertrag nichts. Ich rufe meine Frau an und sie leiht mit freundlicher Weise ihr Login aus ihrem Vertrag mit Augustanet. Das bringt mich noch nicht ins Internet.

Hmmm ... müsste das Modem nicht zwitschern, wenn es seine Nummer wählt? Und müssten nicht irgendwelche Lämpchen blinken?

Mit der lässigen Handbewegung des Kenners lege ich den kleinen silbernen Schalter auf der Rückseite des Modems um: Lämpchen leuchten, Elsa zwitschert sich eins, meine Kaffeekanne fällt um und hastenichtgesehen bin ich im Internet.

Jetzt noch den Client und das Kartenspielprogramm herunterladen und installieren - ein kurzer Testbesuch in der COW-Oberwelt - alles ist bestens. Was soll jetzt noch schief gehen? Dazu komme ich gleich.


Zurück zur Gegenwart: Mit VanKenobi, dem Geduldigen, vereinbare ich für neun Uhr abends unser überfälliges Turnier-Kartenspiel. Mein Zug hat Verspätung, ich bin erst halb neun daheim. Ich suche die Datei "Kartendeckeditor", um noch rasch ein Deck zusammen zu stellen, aber anscheinend ist sie nicht installiert worden.

Macht nix, spiele ich eben mit einem der vorgefertigten Decks.

Drei Login-Versuche schlagen fehl, trotzdem bin ich ein paar Minuten vor neun im Wirtshaus. VanKenobi und ich starte unser Spiel ... na ja, "starten" ist etwas zu viel gesagt. Immer, wenn ich auf "Start" klicke, bekomme ich einen kritischen Fehler gemeldet, weil die Auflösung nicht initialisiert werden kann.

EdgarM rät mir kundig, unter den "Optionen" die Auflösung geringer einzustellen. Das klingt gut. Leider sind die "Optionen" genau so wenig zu finden wie der "Kartendeckeditor".

Na gut, dann lade ich mir das Kartenspiel eben neu herunter. Das Download-Fenster meint, das würde ungefähr eine Stunde dauern. Egal, sehe ich mir inzwischen ein bisschen "Der Schatz der Sierra Madre" an. Nach einer Viertelstunde schaue ich wieder auf den Bildschirm. Von jetzt an soll es nur noch drei Stunden und fünfundvierzig Minuten dauern.

Aber so lange dauert´s nicht: Sekunden später stüzt der Laptop ab und bietet nur noch buntes Geflimmer auf dem Bildschirm.

Ich bin zäh und versuche es noch mal. Der Laptop ist auch zäh und stürzt diesmal sofort ab.

Mein Wodka ist zu Ende, aber ich habe noch Tequila im Kühlschrank.


Freitag, 28. Februar

Ich hänge in meinem Büro einen großen Zettel mit der Überschrift „Was der Bär über EDV weiß“ auf. Da notiere ich alle Begriffe, die ich gelernt habe, und was sie bedeuten.

Heute habe ich den Begriff „Ethernet-Netzwerkkarte“ gelernt. Mein nächstes Ziel ist es, zu lernen was er bedeutet.

Dirk rät mir, zunächst einmal ein einfaches Buch zu lesen, das mir die nötigen Grundbegriffe über EDV beibringt, damit ich mich mit den Fachleuten überhaupt unterhalten kann. Er hat mir auch gleich eins mitgebracht, das mit weiter helfen wird: Es heißt „Grundlagen der Wirtschaftsinformatik.“

Auf der Heimfahrt lese ich im Zug darin und gewinne den Eindruck, dass ich besser noch einen Schritt vorher ansetzen sollte und erst mal Betriebswirtschaft studieren, damit ich mir die Grundbegriffe des Lesens dieses Buches aneigne. Das könnte aber doch ein bisschen knapp werden, weil meine Termine im Kartenspielturnier sich nicht ohne weiteres um vier Jahre verschieben lassen.


Samstag, 1. März

Babsi schenkt mir ein Verlängerungskabel. Noch vor einer Woche hätte ich nicht die leiseste Ahnung gehabt, was sich damit verlängern läßt - abgesehen von der Zeit, bis mein PC wieder funktioniert - heute aber brauche ich nur einen Blick auf den komischen Um-die-Ecke-Stecker an einem Ende zu werfen und erkenne, dass es in meine TAE-Dose passt.

Kurz darauf steht der Chef-Laptop auf meinen Schreibtisch im Arbeitszimmer und die Katzen können ihre Rennbahn durch Korridor und Wohnzimmer wieder voll ausnutzen, ohne dass alle paar Minuten etwas vom Tisch fällt.


Sonntag, 2. März

Heute sind der beste Chef von allen, seine Freundin Susi und mein Kollege Lars zum Spielen bei mir zu Besuch. Jeder hat ein oder mehrere kleine Kabel mit unterschiedlichen Steckern mitgebracht und die Herren versuchen gemeinsam, den Laptop an das T-DSL-Modem anzuschließen, während Susi im Wohnzimmer eine Musik-CD anhören will.

Ich erkläre Susi bedauernd, dass ich keinen CD-Spieler habe, und folge dann den Herren ins Arbeitszimmer, um mein EDV-Wissen zu erweitern.

Zunächst stellt sich heraus, dass das T-DSL-Modem keineswegs, wie ich dachte, NTBA heißt, sondern NTBBA, was etwas ganz anderes ist.

In Sekundenschnelle ist der Laptop plötzlich mit meine Bildschirm und meiner Maus verbunden, wodurch die ganze Konstruktion schon wesentlich beeindruckender aussieht. Die mitgebrachten Kabel lassen sich leider nicht in die Bären-EDV-und-Telekommunukations-Kombination integrieren. Ein neuer Versuch, die COW-Software mit Hilfe von Frau Elsa Modem herunter zu laden, führt nach einigen Minuten wieder zu dem bereits bekannten Ergebnis eines in psychedelischen Farben blinkenden Bildschirms.

Übereinstimmende Diagnose der Herren: Zu wenig Arbeitsspeicher, falsche Netzwerkkarte, aber der Kaffee ist gut.

Susi hat inzwischen fest gestellt, dass man mit meinem DVD-Player auch Musik-CDs abspielen kann. Die Welt ist wirklich voller Wunder, auch und gerade im Bereich der Unterhaltungselektronik.

Etwas später am Tag gewinne ich bei „Carcassonne“, weil ich ein Kloster nach dem anderen aus dem blauen Sack ziehe – dagegen kann nicht einmal die ausgefeilte Bauern-Strategie des sonst fast unschlagbaren Lars bestehen. Ich ziehe daraus eine wichtige Lehre für mein Leben: Wenn man nur genug Glück hat, kommt man auch mit ein bisschen weniger Grips zurecht.


Montag, 3. März

Morgens frage ich Alexander, wie denn die Aussichten stehen, diese Woche noch den gebrauchten Firmen-PC zu bekommen. (Alexander würde mir die Festplatte und Grafikkarte von meinem alten PC dort einbauen, dann das würde ich bestimmt nicht hinkriegen.)

Leider stehen die Aussichten auch in dieser Woche schlecht, weil die EDV-Abteilung wichtigeres zu tun hat, als meinen PC bärentauglich zu machen. Das sehe ich natürlich ein.

Vielleicht hätte ich von Anfang an meine erste Idee umsetzen und den PC in Augsburg zur Reparatur bringen sollen. Wäre ich dann jetzt besser dran? Vermutlich auch nicht, denn mir fallen eine Menge Geschichten von Leuten ein, die ihre PCs in schlechterem Zustand wieder bekamen, als sie sie abgegeben hatten.

Ich spüre, wie sich existenzialistische Lasten von Kierkegaardschen Ausmaßen auf meinen Schultern sammeln: Das ganze Elend des In-die-Welt-geworfen-Seins wird sich darin manifestieren, dass ich niemals einen funktionsfähigen PC bekommen werde.

Ich erkläre mich im Forum bereit, alle Turnierspiele, die ich wohl nicht mehr wahrnehmen kann, als verloren werten zu lassen. Aber meine Spielpartner sprechen mir ihr Vertrauen aus, dass ich bis Ende der Woche doch einen Weg zurück in die COW finden werde. Woher nehmen die Leute den Optimismus?

Mittags nehmen Dirk und ich an einer Besprechung teil. Als der Tagesordnungspunkt „Austausch der Filialbodenbeläge“ beginnt, schauen Dirk und ich uns gegenseitig kurz an und sagen wie aus einem Munde: „Es gibt auch Bodenbeläge, die besonders geräuscharm sind.“

Für den Rest der Besprechung begegnen uns die anderen Teilnehmer mit einer gewissen Befremdung.


Montag, 3. März, abends

Im Briefkasten wartet eine CD auf mich, auf die Ruwenzori mir die COW-Installations-Software gebrannt hat. Ich weiß inzwischen schon, dass auf CDs gebrannt wird und nicht etwa, wie ich immer dachte, kopiert – was immer das auch heißen mag.

Nach ein paar vergeblichen Versuchen und nachdem ich einige Dateien des besten Chefs von allen von seinem Laptop gelöscht habe, kann ich alles installieren.

In der COW macht Igor ein Kartenspiel mit mir: Es läuft nur nach dem Scharping-Prinzip („aber langsaaaaam“), es ruckelt zum Seekrank-werden – aber es ist eindeutig ein Kartenspiel und es läuft bis zum Ende stabil.

Ich bin zurückgekehrt wie Napoleon von Elba – hoffentlich nicht mit dem selben Ergebnis.


Dienstag, 4. März

Ich hole mein Turnierspiel mit Sebl nach. Der Anfang gestaltet sich schwierig, weil ich mehrmals aus der COW fliege, aber als das Spielfeld einmal aufgebaut ist, bleibts auch stehen und wir spielen.

Es ist ein bisschen wie ein Zwei-Fronten-Krieg, weil Maus- und Tastaturbefehle nur mit sekundenlanger Verzögerung wirken, wodurch ich meine Landschaften falsch verteile und am Anfang meinen Zug zu früh beende, statt eine Karte auszuspielen, aber ein schlecht gespieltes Spiel mit einer vernichtenden Niederlage als Ergebnis ist schon erheblich besser als gar kein Spiel. Außerdem konnte ich mit meinem alten PC durchaus auch verlieren.


In der Pause einige Anmerkungen über Pausen

Es mag bei der Schilderung meiner EDV-Erfahrungen der letzten Wochen der Eindruck entstanden sein, ich sei - oder fühle mich zumindest - vom Pech verfolgt.

Doch wäre nichts so falsch wie dieser Eindruck: Zum einen bin ich ein notorischer Optimist und lasse mich von den Pfeil´ und Schleudern des wütenden Geschicks allenfalls vorüber gehend in Deckung zwingen - zum anderen habe ich bei der Wahl meines aktuellen Arbeitsplatzes mehr Glück als Verstand gehabt: Während viele Spieler sich ihre Mitspieler mühsam zusammen suchen müssen, sind sie mir praktisch frei Haus serviert worden.

Nicht nur, dass sich bald herausstellte, dass der beste Chef von allen ein begeisterter Spieler ist - auch unser EDV-Leiter Lars ist eine ausgesprochene Spieler-Natur.

So bildete sich schnell ein Freundeskreis, der sich häufig an den Wochenenden zum Spielen trifft, und auch in den Mittagspausen erzählten wir oft von Spielen, Taktiken und Neuentdeckungen - gelegentlich mit einer Mischung aus Unverständnis und Vorsicht beobachtet von den Kollegen, die es wohl anfangs etwas seltsam anmutete, ansonsten recht seriös wirkende Menschen in dunklen Anzügen über Würfel, Spielkarten und geheimnisvolle Dinge namens "Pöppel" diskutieren zu hören.

Hin und wieder breiteten wir auch Materialien neuer Spiele aus und begutachteten Regelhefte ... und nach und nach erwachte bei einigen der regelmäßigen Zuschauer ein gewisses Interesse daran, dass es jenseits von Mensch-ärgere-dich-nicht, Kniffel und Monopoly noch ein viel größeres Spiele-Universum gibt.

Wir gaben natürlich immer gern Auskunft ... und dann, eines Mittags vor ungefähr zwei Jahren, vor uns auf dem Tisch ein neu gekauftes Knatsch, fragte jemand: "Und wie lange dauert so´n Spiel?" - und ich sagte: "Ungefähr ´ne halbe Stunde: Das schaffen wir, wenn ihr Lust habt."

Das war der Moment, in dem die Tradition des Mittagspausenspiels geboren wurde. Ein lockerer Kreis aus Vielspielern, Gelengentheitsspielern und Sonstgarnichtspielern in wechselnder Anzahl trifft sich seit dem in jeder Mittagspause und schafft ein schnelles Spielchen.

In den ersten Monaten stand ausschließlich Knatsch auf dem Programm, weil mancher, der hier seine erste Spielregel erklärt bekam, zwar Spaß am Spiel fand, aber doch eine gewissen Besorgnis im Hinblick auf die Verständlichkeit anderer Regeln zeigte.

Doch auch das ist längst vorbei: In meinem Büro entstand damals ein Regal mit Mittagspausen-geeigneten Spielen, die schnell zu erklären sind, in einer halben Stunde komplett zu spielen, deren Material auf einem Bistro-Tisch Platz findet und dabei noch genug Platz für Kaffeetassen und Aschenbecher übrig läßt: Trans America, Res Publica, Korsar, Guilottine sind dabei, auch Zwei-Personen-Spiele wie Rosenkönig und Halali.

Sogar für das für Wenigspieler taktisch doch recht anspruchsvolle Kardinal und König haben wir schon ein paar Runden zusammen gebracht.

Ein paar Jahre später war diese schöne Zeit wieder vorbei - aber es ist ja alles irgendwann einmal vorbei, und eigentlich hat man nicht viele andere Möglichkeiten, als die schönen Dinge zu genießen, so lange sie einem zur Verfügung stehen.

Wenn dereinst der Tag kommt, an dem ich ein Fazit aus meinem abgeschlossenen Berufsleben ziehen kann, dann wird das wahrscheinlich lauten: "Die verspielten Mittagspausen waren die besten."


Der Brrittzzzzlll-Situation zweiter Teil

Montag, 10. März

Fröhlich spaziere ich ins EDV-Büro: Diese Woche werde ich meinen PC bekommen. „Hätte bekommen sollen“ wäre richtig gewesen, wie sich bald zeigt.

Die noch funktionierenden Komponenten aus meinem alten PC sind inzwischen eingebaut und das ganze Gebilde sieht schon sehr professionell aus. Es gibt lediglich einen winzigen Schönheitsfehler, den man allerdings nur sieht, wenn man den PC einschalten will: Er lässt sich nämlich nicht einschalten.

Lars und Alexander haben die nächsten Tage Termine außer Haus und es wird diese Woche wieder nichts mit meinem PC. Nächste Woche aber. Spätestens übernächste.

Und da heißt es immer, die Geschichte kenne keine Wiederholungen: Nach vielen Hin und Her bin ich jetzt wieder ganz genau da, wo ich am Anfang war, nämlich in der Situation eines Bären, dessen PC sich nicht einschalten lässt.

Eher betrübliche Gedanken im Kopf trotte ich den langen Gang entlang in Richtung auf mein Büro, vorbei am großen Bonbonglas, in dem oben auf einige Schokoladen-Riesen liegen. Normaler Weise bin ich kein großer Freund von Schokolade, allerdings habe ich grade erst gehört, dass sich darin angeblich Hormone befinden, die einen glücklich machen. Genau das, was ich jetzt gebrauchen kann.

Selbst wenn ich nicht umgehend glücklich werde, vielleicht komme ich zumindest auf andere Gedanken.

Und was soll sagen: Das mit den anderen Gedanken funktioniert tatsächlich! Kaum 30 Sekunden, nach dem ich den Schokoladen-Riesen in meinen Mund geschoben habe, hole ich den größten Teil davon mit daran hängender Goldplombe auf dem selben Weg wieder heraus habe nur noch den einen Gedanken: „Ich muss dringend zum Zahnarzt“.


Dienstag, 11. März


Man könnte glauben, dass in München ein ausgesprochener Zahnärzte-Notstand herrscht, denn schier keiner der Zahnärzte in bequemer Reichweite meines Büros sah sich in der Lage, mir zwischendurch mal meine Plombe wieder einzusetzen. Das ist wohl diese Reform des Gesundheitswesens, von der jetzt so viel geredet wird: Die Ärzte nehmen einfach keine Patienten an, dann gibt´s auch keinen Ärger mit der Abrechnung.

Aber in dem Dörfchen bei Augsburg, in dem ich wohne, ist die Welt in dieser Hinsicht noch in Ordnung: Es ist kein Problem für Dr. S., mich am folgenden Vormittag noch mal zwischen die anderen Termine zu schieben. Er kennt mich ohnehin nur im Zustand akuten Leidens, weil nichts auf der Welt mir so viel Angst einjagt wie ein Besuch beim Zahnarzt und ich wirklich nur hingehe, wenn´s gar nicht zu vermeiden ist.

Ohnehin für zahnärtzliches Verhalten sensibilisiert, erfüllt es mich mit zusätzlichem Misstrauen, dass Dr. S. und seine Mitarbeiterinnen heute alle Gesichtsmasken tragen.

„Das ist nur wegen der Grippe.“, versucht eine der Damen mich zu beruhigen. Ich wäre noch viel beruhigter, wenn ihr Tonfall nicht so sehr nach diesem „Wozu bist du mir dann noch nütze?“ klingen würde, das Mel Gibson in Payback zu Gregg Henry sagt.

Nach einer guten Viertelstunde im Wartezimmer kann ich schon in Behandlungsraum 1 umziehen. Einen Behandlungsraum 2 habe ich hier noch nie gesehen; es ist halt eine Dorfpraxis. Ein bisschen Fummeln hier, ein bisschen Kratzen da, „Jetzt beißen Sie mal zu“, schon ist die Plombe wieder drin.

Alles wird gut ... oder würde gut, wenn sich der glückliche Augenblick, in dem die Anspannung all meiner Muskeln nachlässt, nicht als dieses elende retardierende Moment entpuppen würde, mit dem schon die klassischen Tragödien-Autoren ihr Publikum narrten.

Mein Fehler! Ich hätte das wissen müssen und die Aufforderung, jetzt noch mal eben kurz dem Mund zu öffnen, mit dem Zusammenbeißen meiner Zähne quittieren sollen. Sekunden später befinden sich ein Speichelsauger, ein Spiegel und ein hässlicher Ultraschallbärenquäler in meinem Mund und Dr. S. sagt: „Wo Sie grade hier sind, mache ich Ihnen noch mal eben den Zahnstein weg. Was denken Sie?“

Ich denke, dass ich mich zehn mal lieber auf einem fernen Planeten aufhalten und dabei zusehen würde, wie meine Kameraden von einem wirbelnden Schlund aus rotem Staub verschlungen werden.

Aber die Chance ist vertan und ...

... sehr viel später, als es noch lange nicht vorbei ist, sagt Dr. S.: „Was Sie dringend brauchen, ist eine professionelle Zahnreinigung mit Individual-Prophylaxe. Da trifft es sich gut, dass Frau A. grade einen Lehrgang gemacht hat. Die ist da sehr geschickt und wir können gleich einen Termin ausmachen. Was denken Sie?“

Frau A. nimmt für einen kurzen Moment ihre Gesichtsmaske ab, ohne die unausgesprochene Drohung des Saugers gegen meine Zunge um einen Millimeter zu entschärfen, und lächelt mich kurz aus ihrem exotischen Gesicht mit den großen mandelbraunen Augen an. So könnte eine Prinzessin aus einem fernen Emirat aussehen, die auf der Flucht vor einem vom Vater zugewiesenen, ungeliebten Gatten ihr Heil in einer Existenz als maskierte Zahnarzthelferin in einem Rapsbauernkaff in Schwaben sucht.

Wenn mir eine solche Frau anbietet, mich individuell zu prohylaxieren, dann kann es darauf nur eine Antwort geben, nämlich: „Nein, danke, ich möchte jetzt flugs das Weite suchen und die nächsten zehn Jahre nicht mehr herkommen!“

Doch meine Artikulation ist durch zahnärztliche Gerätschaften in meinem oralen Bereich erheblich eingeschränkt. Ich scheitere schon am ersten „N“ und meine Antwort klingt eher wie „Hraaachkch.“

Kurz darauf befindet sich ein Zettel in meiner Jackentasche, auf dem „Montag, 17. März, 8.30 h – Individualprohylaxe“ steht.

Das war – ich schwöre es hoch und heilig – mit absoluter Gewissheit mein allerletzter Schokoladen-Riese.


Samstag, 15. März

Zum ersten Mal sehe ich das Landhaus, in das der beste Chef von allen ziehen wird.

In einem Raum gibt es ein Plastikdings mit Schlitzen drin, aus einem dieser Schlitze kommt ein Kabel und führt in einen Kasten, in dem auch Schlitze sind. Dr. D. und Lars haben sich daneben aufgebaut und fordern mich auf, ihnen auf der Basis meines angesammelten Fachwissens die Konstruktion zu erklären.

Ich fühle mich zurück versetzt an jenen Tag im Frühsommer 1975, als ich von einem Abiturprüfungsausschuss aufgefordert wurde, auf Französisch Fragen zur Nouvelle Vague im Französischen Kino der 60er Jahre zu beantworten – worauf ein viertelstündiger Dialog-Thriller folgte, von dem es definitiv abhing, ob ich mein Abitur bestand oder nicht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Inzwischen bin ich wesentlich pfiffiger geworden, als ich es damals war: Von außen habe ich gesehen, dass es eine Satelliten-Schüssel auf dem Dach gibt. Natürlich erwarten die beiden von mir, dass ich irgend etwas über Modems und Internetzugänge erzähle, um mich dann lässig darauf hinzuweisen, dass das ein Fernsehkabel ist.

Ich lasse meine flache Hand über dem Kabel hin und her gleiten, als könne ich die Schwingungen erfühlen, und sage dann: „1996er Antennenkabel mit Satellitensignal-Decoder. Den Schwingungen nach ausgerichtet auf ... hmm ... Astra 1.“

Fast richtig“, sagt Dr. D.: „TAE-Dose mit Verbindung zum NTBA.“


Montag, 17. März

Im Büro ergänze ich den Eintrag TAE-Dose auf dem Zettel Was der Bär über EDV weiß um die Anmerkung: „Kann in jedem Zimmer sein, nicht nur im Flur links neben der Schlafzimmertür.“


Mittwoch, 19. März

Er scheint auf den ersten Blick etwas klein geraten, wirkt dafür aber recht stromlinienförmig. So, wie er da neben dem Gerippe meines alten PCs steht, müsste die Voyager neben der Enterprise wirken.

Es ist ein PC, und zwar mein neuer, und Lars nimmt ihn mit einer Hand hoch, gibt ihn mir und sagt: „So, fertig, mein Bär. Windows ist drauf, Office ist drauf ... den Rest schaffst du schon alleine.“

Lars ist der Besten Einer ... und sein Optimismus ist vorbildlich!


Mittwoch, 19. März – Abends

Das Glück ist mir hold: Babsi kommt am Abend zu mir, um mir beim Einrichten des Internetzugangs zu helfen. „Mir zu helfen ...“ trifft das, was sich in den nächsten Stunden abspielt, eigentlich nicht so recht.

Die Präliminarien, bei denen Kabel in Geräte gesteckt werden, kriege ich noch ganz gut hin – dank der Zettel, die an allen Kabeln hängen und dank der Tatsache, dass auf der Rückseite des neuen Bären-PCs ziemlich klare Symbole angebracht sind.

Als die Phase beginnt, in der der Internetzugang eingerichtet wird, weicht meine Aktivität verständislosem Staunen. Ich hatte vermutet, dass die CD mit der T-DSL-Software, die ich in den letzten Wochen gehütet habe wie eine Reliquie, dabei zum Einsatz kommt. Aber Babsi steht auf dem Standpunkt, dass die wahre Kunst darin besteht, eine T-DSL-Internetverbindung herzustellen, ohne auf irgendwelche T-Online-Hilfsmittel zuzugreifen.

Statt dessen sucht sie auf der Festplatte nach einem Ding namens Macronix, das in einem Fensterchen erscheinen soll, in dem statt dessen beharrlich „Verbinden über Modem“ steht.

Macronix – das klingt für mich wie der Name eines Schwäbischen Druiden, der gegen die Ausbreitung des Catanischen Reiches kämpft. Wir befinden uns im Jahre 2003 n. Chr. Ganz Deutschland spielt in der COW ... Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Schwaben bevölkertes Dorf südlich von Augsburg hört nicht auf, dem COW-Zugang Widerstand zu leisten. Ich schrecke aus meinen Gedanken auf, als Babsi sagt: „Ach, ich muss doch nur das PPPoE-Protokoll installieren, damit ...“

Aber da habe ich schon endgültig den Faden verloren und bleibe als Statist im Hintergrund, bis irgendwann und als Ergebnis völlig rätselhafter Handlungen auf meinem Bildschirm wirklich und wahrhaftig eine Verbindung zum Internet eingerichtet ist, die ich in Zukunft durch einen einfachen Mausklick öffnen kann.

Nie im Leben hätte ich das hingekriegt.

Es ist schon spät; ich werfe in der COW nur noch einen kurzen Blick auf die Trümmer meiner virtuellen Existenz: Das Haus von Termiten zernagt, die Kleidung von Motten zerfressen, der Rest von Dieben geraubt und von Feuerteufeln angekokelt. Soviel zur Urlaubsfunktion, die ich am Anfang der Brrittzzzzlll-Krise noch von einem anderen PC aus hatte aktivieren können.

Aber morgen ist ein neuer Tag, ein neuer Anfang ... und ich werde endlich wieder ein richtiges Kartenspielchen machen können! Mir geht´s - wie man so sagt - den Umständen entsrechend gut.


Donnerstag, 20. März

Nix is´ mit Spielen in der COW. Der „Start“-Schalter im Wirtshaus zeigt zwar die hübsche Grafik des Niedergedrück-werdens, löst aber keine Funktion aus.

Ich deinstalliere und lösche die ganze COW-Software, lade mir alles neue herunter und installiere es neu.

Und noch mal.

Habe ich was übersehen? Diesen rätselhaften COPAS-Client? Ich dachte, den hätte ich nur am Anfang gebraucht, um das Abonnement einmal abzuschließen.

Macht nix: Den installiere ich auch neu. Er sagt mir, er kommt mit meinen Netzwerk-Einstellungen nicht zurecht. Was für Netzwerkeinstellungen? Hier gibt´s nur einen PC, und dazu noch ´nen ziemlich kleinen.

Ich lese mir die COPAS-FAQs durch und versuche, alles zu machen, bei dem ich die in der Anleitung verwendeten Worte verstehe. Das COPAS-Sternchen will und will nicht lila werden. Jedes Mal, wenn ich das Internet verlasse und danach wieder einsteige, ist das Sternchen sogar ganz aus diesem kleinen Kasten rechts unten, dessen Namen ich mir nie merken kann, verschwunden .. und ich muss wieder ganz von vorne anfangen, COPAS zu installieren.

Ich lösche noch mal alles und installiere es neu.

Keine Änderung.

Um halb zwei Uhr früh gehe ich ins Bett. Mit Ruhe und Überlegung werde ich auch diese Hürde überwinden. Morgen. Spätestens übermorgen. Ich bin ganz ruhig und entspannt. Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde!!!


Dienstag, 25. März

Eine Woche ist vergangen, ohne dass sich Brrittzzzzlll-mäßig irgend etwas des Erzählens Wertes abgespielt hat. Ich habe zwar Zugang zur COW, doch kann ich kein Spiel starten.

Am Dienstag Abend dann kommt es –auf eine fast enttäuschend unspektakuläre Weise nach so langen Präliminarien – zur entscheidenden Wende:

Babsi setzt sich mit mir vor den PC und führt mich durch die verschiedensten Änderungen, manche davon habe ich selbst schon so häufig gemacht, dass ich sie praktisch im Schlaf kann (COW-Software neu installieren), manche habe ich vergeblich allein versucht (COPAS Client installieren), von manchen hätte ich nicht mal im Traum gedacht, dass sie überhaupt möglich sind (Internet Explorer von der Microsoft Homepage auf Version 6.0 updaten).

Irgendwann, nach einer Reihe von Maßnahmen und immer neuen vergeblichen Versuchen, ein Spiel zu starten - und ohne dass ich sagen könnte, welche Handlung letztlich die entscheidende war - passiert´s dann: Ich treffe auf VanKenobi, lege im „Mühlenritter“ ein Kartenspiel an, drücke den Startknopf ... und nur Sekunden später baut sich das Spielfeld auf meinem Bildschirm auf, so, als habe es niemals etwas anderes gemacht.


Und so endet diese Geschichte. Wäre sie eine Fiktion, würde ich mich zu Recht dem Vorwurf mangelhaften dramaturgischen Aufbaus stellen müssen, da die Höhepunkte alle am Anfang lagen und der letzte Akt - die „Katharsis“, wie wir Dramaturgen sagen - sich bis zum Fallen des Vorhangs lang und ereignislos dahin schleppte.

Aber die Realität hat nun mal ihre eigenen Gesetze und muss keine Rücksichten auf unsere Lesegewohnheiten nehmen.

Dies ist für die Brrittzzzzlll-Saga das zwar dramaturgisch laienhafte, aber doch immerhin glückliche

Ende


Den Oscar für das beste Originaldrehbuch werde ich dafür wohl nicht bekommen, aber eine Danksagung haben alle, die am Happy End mitgewirkt haben, sich dennoch redlich verdient:

Babsi, die sich trotz unserer Trennung immer wieder die Zeit nahm, ihren EDV-Muggel von Ehemann durch die Tücken der Hard- und Software zu lotsen

Dr. D., der mir zu einem neuen PC verhalf und mir für die Wartezeit seinen Laptop lieh

Lars und Alexander, die einen Teil ihrer knappen Zeit opferten, um die verwendbaren Teile des alten PC in den neuen einzubauen

Ruwenzori, der mir die Installations-Dateien auf CD schickte, als ich sie nicht downloaden konnte

EdgarM
und Sardon, die mir spontan per Mail ihre Hilfe anboten, als sie von meinen Schwierigkeiten hörten

und – last but not least – Dirk und Uli, die durch ihre Kommentare die Brrittzzzzlll-Krise mit zusätzlichem Unterhaltungswert anreicherten

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